Am Neujahrstag 1945 ermordeten amerikanische Soldaten nahe Bastogne zwischen 70 und 80 deutsche Kriegsgefangene, auch Sanitäter. Ihr Befehl habe gelautet, „keine Gefangenen zu machen“. US-General Patton verhinderte eine Ermittlung.
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Kriegsverbrechen gehören zum Krieg. Es gibt fast keine militärische Auseinandersetzung, in der es nicht zu Gewalt außerhalb der eigentlichen Kämpfe und gegen Wehrlose kommt. In der Regel gibt es zwei Ursachen: Entweder Offiziere ordnen kriegsrechtlich unzulässige Erschießungen an, um Vergeltung zu üben, oder einfache Soldaten reagieren sich ab. Oft sind beide Motive untrennbar verwoben.
So ist es auch beim Massaker von Chenogne am 1. Januar 1945. Um das Dorf gut sieben Kilometer westlich von Bastogne, das ohnehin schon in Trümmern lag, hatte es während der deutschen Ardennenoffensive heftige Kämpfe gegeben. Von den 32 Häusern des Ortes war nur eines nicht total zerstört.
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Die 11. US-Panzerdivision, eine Einheit ohne Kampferfahrung, die erst am 16. Dezember 1944 in Frankreich eingetroffen war, kämpfte gegen die Führer-Begleit-Brigade (trotz des Namens keine Einheit der Waffen-SS, sondern der Wehrmacht) und die deutsche 3. Panzergrenadierdivision – zwei kampfstarke Verbände, die versuchten, den Versorgungsweg ins ansonsten eingekesselte Bastogne hinein wieder zu unterbrechen.
Vom 29. Dezember bis zum Mittag des 1. Januar dauerten die extrem harten Gefechte. Sie versetzten den Neulingen der amerikanischen Division einen „Schock“, wie der britische Militärhistoriker Antony Beevor schreibt.
Doch der Schock rechtfertigte nicht, was dann geschah. Überliefert hat es einerseits der Augenzeuge John Fague, der zur B-Kompanie des 21. Motorisierten Infanterie-Bataillons der Division gehörte. Außerdem gibt es einige Erinnerungen von Dorfbewohnern, die ebenfalls zusahen oder zumindest die Folgen zu Gesicht bekamen, unter ihnen der ehrenamtliche Bürgermeister von Chenogne.
Nach einer Erholungspause wurde Fagues Kompanie am Neujahrsnachmittag aus der vordersten Linie zurückbefohlen. Der GI berichtete, dass seine Kameraden darauf die deutschen Kriegsgefangenen, die sie in Gewahrsam hatten, in zwei Gruppen auf den Äckern beiderseits der Straße Aufstellungen nehmen ließen, über die sie sich zurückziehen sollten. Jede Gruppe bestand aus 25 bis 30 Soldaten, „german boys“, wie der Augenzeuge schrieb.
Mehrere Mitglieder seiner Einheit bauten Maschinengewehre auf und mähten die wehrlosen Männer nieder; die Leichen ließen sie liegen. John Fague sah zu und fühlte sich bei dem, was er gesehen hatte, mies. Doch seine wesentliche Sorge im Moment des Geschehens war, dass die Toten von deutschen Einheiten gefunden werden würden – und dann gefangenen Amerikanern ein ähnliches Schicksal drohen könnte.
Es war nicht das einzige Verbrechen, das in Chenogne an diesem Montag geschah. Den heftigsten Widerstand hatten Soldaten der 3. Panzergrenadierdivision aus einem zerschossenen Bauernhof heraus geleistet, der einer Familie Burnotte gehörte. In seinem Keller befand sich in provisorisches Feldlazarett mit deutschen Verwundeten und einigen Zivilisten.
Nachdem ein Panzer die stabilste Mauer des Bauernhofes zerschossen hatten, endete das Feuer. Nach und nach kamen deutsche Sanitäter, durch Rot-Kreuz-Binden klar als solche ausgewiesen, aus der Stellung heraus. Auch schleppten sich einige Verwundete heraus. Sie wurden sofort erschossen, 21 Mann insgesamt, darunter bereits versorgte Verwundete und Sanitäter. Danach zog die B-Kompanie aus Chenogne ab.
Drei Tage später notierte George S. Patton, der ruppige US-Panzergeneral und Oberbefehlshaber der 3. US-Armee, in sein halb dienstliches, halb privates Tagebuch: „Die 11. Panzerdivision ist sehr grün und hat unnötige Verluste erlitten, ohne etwas zu erreichen.“ Dann folgte eine klare Aussage: „Ermordete auch über 50 deutsche Sanitäter.“ Zum Schluss der Passage schrieb Patton: „Ich hoffe, wir können das vertuschen.“
Die Notiz war wohl nicht ganz zutreffend, denn es handelte sich vermutlich um Sanitäter und Verwundete sowie Kriegsgefangene. Doch die Tatsache der Erschießung und der Vertuschung durch einen hohen General war in jedem Fall skandalös.
Hinzu kam später eine zweifelhafte Abänderung. Das Patton-Tagebuch liegt nämlich zusätzlich in einer abgetippten Version vor, die sich allerdings an einigen Stellen vom Original unterscheidet. Die wissenschaftliche Ausgabe des Tagebuchs, erschienen 1974, basiert auf der abgetippten Version und daher heißt es an dieser Stelle: „Unglücklicherweise kam es zu einigen Erschießungen von Gefangenen.“ Dazu sagte der Weltkriegs-Experte Peter Lieb WELT: „Der renommierte US-Militärhistoriker Martin Blumenson scheint sich nicht für das Original des Tagebuchs interessiert zu haben und so wurden aus den Sanitätern ,normale’ Soldaten. Vielleicht war Blumenson der Mord an Sanitätern zu ungeheuerlich."
Zumindest vorläufig gelang die Vertuschung – es gab keine Ermittlungen gegen die Täter, die laut dem Augenzeugen John Fague zur B-Kompanie des 21. Motorisierten Infanterie-Bataillons gehörten. Eine solche Kompanie hatte im Zweiten Weltkrieg gewöhnlich eine Stärke von 120 bis 150 Mann; wie viele davon am 1. Januar 1945 noch einsatzfähig und vor Ort waren, ist nicht zu schätzen.
Die 50 bis 60 beiderseits der Straße niedergemähten Deutschen wurden mutmaßlich einige Tage später provisorisch bestattet und irgendwann in den 50er-Jahren bei der Errichtung des südlichen der beiden deutschen Soldatenfriedhöfe in den Ardennen in Recogne-Bastogne endgültig umgebettet.
Über die Toten am Bauernhof der Familie Burnotte berichtete der Bürgermeister, er habe bei seiner Rückkehr in das völlig zerschossene Dorf zwei Tage später die 21 toten Deutschen „in einer Linie“ liegend vorgefunden. Waren sie also eventuell auch gezielt hingerichtet worden und nicht (was freilich ebenso ein Kriegsverbrechen gewesen wäre) einzeln beim Herauskommen aus der Hausruine?
Da es keinerlei Zeugenbefragungen und keine systematischen Untersuchungen nach diesem Massaker gab, lässt sich nicht mehr feststellen, was genau geschehen ist und um welche Toten es sich gehandelt hat. Die 3. Panzergrenadierdivision hatte bei den Kämpfen um den Jahreswechsel 1944/1945 Hunderte Soldaten verloren. 70 bis 80 davon fielen einem Massaker zum Opfer.
Bleibt die Frage nach dem Motiv. John Fagues Schilderung legt einerseits nahe, dass einzelne Soldaten die Initiative ergriffen, die wehrlosen Deutschen zu ermorden.
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Andererseits berichtet er ausdrücklich, freilich ohne konkrete Namen zu nennen: „Unser Befehl lautete, keine Gefangenen zu machen.“ Mit anderen Worten: Gegner, die sich ergaben, sollten erschossen werden. Eine solche Weisung war natürlich ein verbrecherischer Befehl.
Zwei Wochen vor dem Massaker von Chenogne hatte es ein ähnliches Kriegsverbrechen in Malmedy gegeben: Soldaten der „Kampfgruppe Peiper“ der Waffen-SS töteten an einer Kreuzung bei Baugnez südlich von Malmedy 84 gefangene US-Soldaten, teilweise mit Genickschüssen.
Da weitere 43 amerikanische Gefangene im Chaos dieses Massenmordes hatten entkommen können, verbreiteten sich rasch Gerüchte über dieses Verbrechen bei den US-Truppen. Möglicherweise trug das zu den kriegsrechtlich absolut unzulässigen Befehlen bei, keine Gefangenen zu machen. Andererseits meinte John Fague, erst nach dem Massaker von Chenogne von Malmedy gehört zu haben.
Bei General Patton war das jedoch nachweislich anders: Er wusste unmittelbar nach Malmedy vom dortigen Geschehen. Das dürfte der Hintergrund seiner Hoffnung gewesen sein, Chenogne vertuschen zu können. Jedenfalls finden sich in offiziellen Militärakten darüber offenbar keine Spuren.
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Beevor schrieb, Angehörige der schlecht ausgebildeten und von den Gefechten übel mitgenommenen 11. US-Panzerdivision hätten in Chenogne „ihren Furor“ an etwa 60 Gefangenen ausgelassen. Dieser Vergeltungsakt unterschied sich von den kaltblütigen Hinrichtungen der Waffen-SS bei Malmedy-Baugnez, aber er wirft dennoch ein schlechtes Licht auf die Offiziere dieser Einheit.
Man kann dieser Meinung sein, muss es aber nicht. Zumindest gibt es auch gute Argumente, Chenogne und Malmedy als ziemlich ähnliche Kriegsverbrechen zu bewerten. Völlig zurecht sagt Peter Lieb: „Das Thema alliierte Kriegsverbrechen an der Westfront 1944/45 harrt nach wie vor einer systematischen historischen Aufarbeitung.“ Natürlich ändert das Massaker von Chenogne an der weitaus höheren Zahl an absolut unzulässigen Gewalttaten deutscher Truppen nicht das Geringste. Aber es vervollständigt das Bild.
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Dieser Artikel wurde erstmals im Januar 2020 veröffentlicht.